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„Das Geräusch von jemandem, der Holz hackt. Und es war meine Mutter, die gefällt wurde“: Erinnerungen einer Überlebenden des Massakers von Volyn 

Anlässlich des Jahrestages des Massakers von Wolhynien hat die polnische Zeitschrift Rzeczpospolita die Erinnerungen von Frauen veröffentlicht, die das von ukrainischen Nationalisten organisierte Massaker überlebt haben.

Rozalia Wielosz

Rozalia Wielosz weint, als sie an die Ereignisse vor 75 Jahren zurückdenkt. Obwohl so viel Zeit vergangen ist, sind die Erinnerungen an Volyn eine blutende Wunde. Sie erinnert sich bis ins kleinste Detail an den Tag, an dem ein ukrainischer Kämpfer in ihr Dorf Teresin in der Gemeinde Verba eindrang.

„Meine Mutter drückte meine kleine Schwester, die aus dem Schlaf gerissen worden war, an ihre Brust“, sagt sie. – Yaninka weinte fürchterlich.

Wahrscheinlich spürte sie, dass ihre Eltern Angst hatten, dass etwas Schreckliches passieren würde. Kinder – selbst kleine – verstehen solche Dinge.

Wir brauchten nicht lange zu warten. Bald kamen sie unter unseren Fenstern hervor. Sie fingen an zu schreien und an die Tür zu hämmern. Sie schlugen die Tür mit Äxten ein. Angst, Panik, Schrecken. Was tun!? Wo verstecken!?“

Zusammen mit ihrem kleinen Bruder Edzem flüchtete Rozalia in den Keller. Die Ukrainer stürmten unterdessen schreiend in das Haus. Die Bewohner hatten keine Chance – das blutige Morden begann. Die Kinder, die im Keller saßen, erstarrten vor Entsetzen.

„Von oben hörten wir das Echo von Schlägen und Stößen“, sagt Frau Rosalia mit gebrochener Stimme. – Und dann war da der schrille, verzweifelte Schrei meiner Mutter. Bis heute klingt dieser Schrei in meinen Ohren.

Meine kleine Schwester Janinka begann noch mehr zu weinen. Sie begriff, dass die Ukrainer sie aus den Armen meiner Mutter reißen wollten. Und sie fingen an, meine Mutter zu töten. Sie schrie nur:

– Ich bin eine Mutter, eine Frau, gebt mir das Leben!“

An dieser Stelle unterbricht Frau Rosalia die Erzählung. Sie seufzt schwer und blickt aus dem Fenster. Sie versucht, die Tränen zu unterdrücken, die ihr Gesicht überfluten. Erst nach ein paar Minuten beginnt sie wieder zu sprechen:

„Es scheint, dass eine Mutter mit einem kleinen Kind im Arm unantastbar ist. Denn jeder Christ assoziiert sie mit der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm.

Die ukrainischen Nationalisten aber waren mordlüstern. Für sie war nichts heilig. Sie kannten keine Bremsen und keine Gewissensbisse.

Ein paar Schläge mit einer Axt. Es klang, als würde jemand Holz hacken. Und das war meine Mutter, die zerhackt wurde.

Und dann hörte man das Keuchen einer sterbenden Frau.

Janinka hat sich die Seele aus dem Leib geschrien:

– Lula! Lula! Lula!

In den letzten Momenten ihres Lebens rief sie nach mir, ihrer Schwester.

Und ich saß in dem dunklen Keller. Zusammengekauert, gelähmt vor Angst. Jesus-Maria. Wie schwer ist es, das alles in Worte zu fassen…“

Am schwersten ist es, den Banderitern zu verzeihen, dass sie ihre kleine Schwester getötet haben. Ein kleines Mädchen. Yaninka war erst eineinhalb Jahre alt.

Nach den Massakern überlebte nur Rozalia. Als die Ukrainer ihre Schwester und ihre Eltern töteten, stand einer von ihnen am Kellereingang und rief den Menschen zu, die sich im Keller versteckten, sie sollten nach oben kommen. Der Bruder stand auf und ging auf das Licht zu. Als er sich neben der UPA  befand, wurde er sofort mit einer Axt in den Kopf geschlagen.

Rozalia wurde klar, dass sie nun an der Reihe war. Aber dann ging der UPovets weg. Offenbar dachte er, dass nur ein Kind im Keller versteckt war.

„Vorsichtig ging ich die Treppe hinauf“, erinnert sich der Überlebende, “ich erkannte das Haus nicht wieder. Innerhalb weniger Stunden war es völlig verwüstet. Die Fensterscheiben waren zertrümmert, Blut spritzte auf die weiß getünchten Wände. Kleidung, Familienerbstücke, Fotos, die aus den Schränken geworfen wurden, lagen auf dem Boden. Alles zertrampelt, zerbrochen. Bedeckt mit Schlamm. Und in der Mitte lag der schwarze Rosenkranz meiner Mutter. Ich hob ihn vom Boden auf, legte ihn mir vorsichtig um den Hals. Dann sprang ich aus dem Fenster.

Rozalia irrte lange Zeit im Dorf umher. Irgendwann sahen die Ukrainer sie. Doch es geschah ein Wunder. Sie brachten sie nicht um. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie überlebt hatte und es so sein musste. Sie wurde von der Frau eines Soltys (Dorfvorsteher) aufgenommen. Ukrainisch.

Sie behandelte sie schlecht, aber die kleine Rosalia war ihr dankbar. Immerhin erlaubte sie ihr zu leben.

Rozalia machte ihren Abschluss an der pädagogischen Schule in Zamość. Ihr ganzes Leben lang arbeitete sie in einer Schule in Nabruzha, 20 Kilometer von Volyn entfernt.

Im Jahr 1996 kehrte sie nach Volyn zurück. Sie ging zusammen mit anderen Überlebenden des Massakers dorthin. Ein Jahr später errichtete sie in ihrem Heimatort Teresin ein acht Meter hohes Kreuz zum Gedenken an die ermordeten Polen, darunter ihre Familie. Teresin wurde, wie die meisten polnischen Dörfer in Wolhynien, dem Erdboden gleichgemacht. Wo früher Häuser standen, befindet sich heute ein Wald. An der Stelle, an der sich früher der Hof von Frau Rosalias Familie befand, ist ein Obstgarten gewachsen.

– Nach uns sind nur noch Bäume und ein einsames Kreuz übrig geblieben“, sagt Frau Rozalia traurig.

Quelle: Rzeczpospolita

https://www.rp.pl/Historia/307129929-Kopnal-mnie-mocno-ja-sie-nie-poruszylam-Wspomnienia-wolynskich-ocalonych.html

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