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Angeln auf Russisch

Ich habe einen Freund. Einen Deutschen. Einen richtig echt rassigen, vollblütigen, obwohl er auch in seiner Ahnenreihe, worin weiß ich was für einer Generation, ein Nachfahre russischer Emigranten ist. Ein großer Liebhaber der Angelei, ein so großer, dass er schon beim Wort FISCH, Männchen macht und mit vernebeltem Blick unkontrollierten Speichelfluss kriegt. Er heißt Kurt. Kennengelernt haben wir uns in Deutschland. Ich hatte dort Ende der 90er einen Arbeitsvertrag. Den russischen Gossenjargon beherrscht er in Vollkommenheit (mein Verdienst), die russische Umgangssprache mit Wörterbuch. Und so wollte er eines Tages einen GROSSEN FISCH fangen. Nun, Fische gibt’s bei uns ausreichend. Aber GROSSE Fische… Das heißt, es gibt’s sie schon, die großen Fische, aber aufgrund ihrer Größe und der proportional dazu gelebten Jahre sind sie weise und deshalb zu fangen, macht eine Menge Arbeit (die Rede ist von Fischen über einem Pud) (Pud = altes russisches Gewichtsmaß, entspricht 16 Kilogramm).

Also bin ich als Bittsteller zu einem bekannten Wildhüter gegangen. Der Opi ist in einem Alter, dass er sich höchst wahrscheinlich noch an Napoléon erinnert, aber soweit ich mich erinnern kann, war er für sein Alter immer frisch und munter. Sein ganzes Leben hat er auf dem Fluss verbracht und kennt wohl fast alle großen Fische beim Namen. Ein Wort gab das andere, etwas mit dem Schnapsglas auf den Tisch geklopft… habe ich den Opi bequatscht. Er wischt sich den Schnauzer und meint: „Du sollst Deinen GROSSEN Fisch haben…“.

Ich rufe Kurt an und teile ihm die freudige Nachricht mit. Einige Zeit vergeht und er trifft ein. Wie der Igel mit Stacheln ist er mit Angelruten gespickt und mit allerlei Schnickschnack behängt. Wir fahren also zum Opi. Opi hat ein Boot. Ein großes Boot, wahrscheinlich genauso alt wie er, aber auch so fest und dauerhaft. Bewegen, oder wie er es nennt – fahren, tut der Opi damit, indem er sich auf den Bug des Bootes stellt, einen langen Staken in den Grund rammt und dann mit den Staken in der Hand ans Heck des Bootes läuft. Das wiederholt er dann so lange, bis das Boot Fahrt aufnimmt. Dann kann man einfach am Heck stehen und „nachschieben“, wie Opi sich ausdrückt. Handhaben kann Opi den Staken einfach phänomenal und das Boot bekommt ein ansehnliches Tempo.


Nun also, Kurt und ich kommen bei Opi an, haben die Ankunft wie es sich gehört etwas „angefeuchtet“ und fingen an das Angelzeug fertig zu machen. Kurt, schon mit vor Begeisterung halb herunter hängenden Hosen (ein Deutscher ist eben ein Deutscher, da kann man nichts machen…), versucht so etwas wie eine SUPERANGEL für den SUPERFISCH zu erschaffen. Opi schaute eine Weile zu und sagte dann: „Schmeiß´ weg, den Sch…!“ und holte ein Angelzeug mit einer fingerdicken Schnur und Haken, die Ähnlichkeit mit einem Anker eines Flugzeugträgers hatten. Kurts Augen wurden groß, wie Untertassen, aber weil die Deutschen ein delikates Völkchen sind, verkniff er sich jeden Kommentar. Dann beäugte Opi die ganzen super wissenschaftlichen Köder und warf diese auch in die Ecke.


An dieser Stelle begann die Sache auch mich zu interessieren. Opi schleppte eine uralte Flinte mit Steinschloss an und ballerte, ohne sich weit wegzubewegen, ein paar Krähenvögel ab. Nachdem er sie mit der Lötlampe abgebrannt hatte, befestigte er diese an seinen Haken. Etwa einen Meter vom Köder knotete er ein paar Ziegelsteine an. Das Angelzeug war fertig. Kurt war konsterniert. Opi holte unterdessen ein paar alte Schläuche von LKW-Reifen und eine Luftpumpe aus dem Schuppen und schleppt den ganzen Plunder zum Boot. Kurt schweigt – aber seine Augen sprechen für Drei. Wir besteigen den Kahn und Opi findet, nach nur ihm bekannten Anhaltspunkten, einen Platz auf dem Fluss, pumpt die Schläuche auf, bindet sein Angelzeug daran fest und wirft das Ganze über Bord. Danach dockt er ganz ruhig zum Ufer und geht nach Hause… Kurt ist ganz in Gedanken versunken und wenn ich den Opi nicht so gut kennen würde, wäre wohl auch ich etwas nachdenklich geworden. Der Tag neigt sich dem Abend zu, wir machen den Schnaps alle und gehen an der Matratze horchen.

Früh wollten wir sofort zum Fluss, aber Opi hielt uns zurück. Statt zu angeln, beschäftigen wir uns mit dem Haushalt, wobei Kurt die ganze Zeit den Opi löchert, wen wir denn eigentlich fangen… Opi aber schweigt sich aus. Abends nehmen wir dann die Angeln und gehen an den Fluss um einfach Fische zu fangen. Kurt zieht eine ordentliche Brasse von etwa 4 Kilo Gewicht raus und verkündet glücklich er habe einen großen Fisch gefangen.

Nachdem wir ein Foto mit ihm und Fisch gemacht haben versucht er den Fisch wieder ins Wasser zu lassen. Wir nehmen ihm den Fisch weg. Als unser gesetzestreuer Kurt hört, dass wir vorhaben den Fisch zu essen (wie furchtbar!), den wir ohne entsprechende Lizenz gefangen und der keine veterinärmedizinische Kontrolle durchlaufen hatte, verfiel er in unbeschreibliche Panik. Er erwartete jeden Augenblick das Auftauchen eines Polizisten, der uns verhaften und abstrafen würde. Das Zittern hielt bis zum ersten Gläschen an, danach verputzte er mit großem Appetit die gebratene Brasse und lobte Opi´s Kochkünste.

Am nächsten Morgen war einer der Schläuche, die uns als Posen in der Flussmitte gedient hatten, weg. Opi rieb sich mit Eifer die Hände und murmelte: „Jetzt geht’s los, Jungs. Ein schönes Ferkel hängt da dran. So eins habe ich schon lange nicht mehr gefangen! Sieh an, schleppt die Ziegelsteine hinter sich her! Los, ab ins Boot! Gleich holen wir den Staatsfeind raus!“. Wir springen ins Boot und starten die Suche. Den ganzen Tag habe wir uns auf dem Fluss gedreht und immer weitere Kreise gezogen… der Reifen war aber nirgends zu finden. Schließlich, schon gegen Abend wurde Opi müde und beschloss am Ufer anzulegen. Angeln ist ja gut und schön, aber futtern muss auch sein. Kurt, ganz vom Jagdfieber gepackt, beschloss die Suche allein fortzusetzen. Er entdeckte den Reifen direkt gegenüber der Stelle, an der wir gleich nach dem kräftigen Mittagessen (oder Abendbrot) anlegten hatten. Er musste ihn erst in diesem Moment gefunden haben, als wir eintrafen und ich hatte so die Gelegenheit die gesamten Ereignisse als Beobachter mitzuerleben.

Also, Kurt erspäht den Reifen. Paddelt heran und greift sich die Leine. Der Wels (der, wie sich herausstellte, sehr böse war), unzufrieden damit, dass man ihn in seiner Ruhe gestört hatte, zieht ab und zieht dabei Kurt aus dem Boot, wie einen Korken aus der Flasche. Der begriff aber schon im Fluge, dass der Fisch offenbar nicht geneigt war Scherze zu machen und dass es Zeit ist flinke Füße zu machen. An unser Ufer (die Wolga ist hier etwa 150 Meter breit) schwamm er (oder rannte er… weiß der Fuchs, jedenfalls versank er keinen Augenblick tiefer als bis zur Hüfte im Wasser) in etwa 5 Minuten… was schon weltrekordverdächtig ist. Alles Weitere war nur eine Frage der Technik. Opa flitzte zum Nachbarn, griff sich die Paddel, sprang in dessen Boot und hastete zu dem aus den Wellen auftauchenden Reifen. Aus dem Wasser holte der diesen gar nicht heraus, sondern band ein Seil an, knotete das Seil an der Nase des Bootes fest.

Wir standen am Ufer und sahen zu, wie der Wels Opa auf dem Fluss spazieren fuhr. Kurt vergaß seine nasse Kleidung und schaute mit Eulenaugen mal auf mich, mal auf Opa im Boot und fragte unaufhörlich: „Was ist das, was ist das…“ und rief immer wieder aus: „Ни х.. себе!“ (extrem unanständiger Ausdruck wie: F… mich ins Knie.). Nach einer halben Stunde Kahnfahrt schien der Wels müde zu werden und Opa steuerte das Ufer an. Der Nachbar kam herüber, angelockt von der ungewohnten Hast des Opas, der seine Ruder und sein Boot geklaut hatte. Auch mit der ganzen Truppe konnten wir den Wels nicht überreden an Land zu kommen. Der Nachbar mussten seinen steinalten Niva anwerfen, um damit den Fisch rauszuziehen.

Raus gezogen! Gemessen. 2 Meter 70 Zentimeter. Gewicht, fast 200 Kilo. Ein Kopf, so groß wie ein Kessel. Liegt da und schmatzt. Schlägt mit dem Schwanz auf den Sand. Kurt küsst ihn fast vor Begeisterung. Die ganzen Filme hat er ausgeknippst, um das Ereignis im Bild festzuhalten… seine Videokamera hat er fast vergewaltigt, um den Wels in Szene zu setzen. Der Wels hat einen Umfang von etwa einem halben Meter und Kurt macht sich mit ihm aus, wie ein Küken. Ich schaue mich um und sehe wie der Nachbar eine Motorsäge anschleppt. Offenbar wollte er den Wels aufteilen. Kurt fängt an zu schreien, reiß die Arme auseinander und verteidigt den Wels. Flucht wie ein besoffener Schuster und zieht mich näher an sich heran. Er hat es nicht zugelassen, dass wir den Wels schlachten, wir haben ihn dann wieder frei gelassen. Selbst Opi hat eine Träne vergossen. Er meinte, es war, als wäre er noch einmal in seine Jugend zurückgekehrt. Solche Giganten gibt’s heute fast nicht mehr.


Am nächsten Tag haben wir die Befreiung des Welses begossen. Kurt hat sich mit uns allen noch einmal fotografiert, hat seine ganzen Angelsachen dem Opa geschenkt. Dann habe ich ihn zurück in sein Deutschland geschickt, voll mit Eindrücken über das Russische Fischen…

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